hannover corso

entwicklungskonzept city 2020+
hannover

Wettbewerbideenwettbewerb - 1. Preis
Planungszeitraum12|2009 - 06|2010
BauherrLandeshauptstadt Hannover
LeistungenWettbewerbsbeitrag | städtebauliche beratung

Zusammenarbeit mit

nsp landschaftsarchitekten - hannover

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. . . . . . .  auf alten Wegen zu neuen Ufern :


Städte sind Orte des Alltags in ihrer ganzen Komplexität.
Die Komplexität urbanen Lebens im baulich-räumlichen Kontext erlebbar zu gestalten und damit einhergehend die Attraktivität der Stadt mit Auswirkungen auf ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Akzeptanz in der öffentlichen Wahrnehmung auch über die Stadtgrenzen hinaus maßgeblich zu steigern, ist vordringlichstes Ziel unserer Arbeit.
Der auch in der City von Hannover anzutreffende, modernistische Gestaltungsrationalismus segregierte die Städte in deutlich voneinander getrennte Wohn-, Arbeits- und Freizeitwelten und fragmentierte damit die Rituale des täglichen Lebens. "Der Stadt einen Sinn für das Spirituelle zurückzugeben, ist eine Form des Widerstands gegen die Fragmentierung des Lebens, den übersteigerten Individualismus und die postmoderne Ortlosigkeit." Philip Sheldrake
Die sakralen Räume um die Clemenskirche und die Neustädter Kirche als Orte der Erinnerung in das Wegenetz der Innenstadt Hannovers zurückzuführen und als visuell erfahrbare, zu Stein gewordene Geschichte unser Erinnern an menschliches Leid und menschliche Errungenschaften als Grundvoraussetzung für ein kollektives Identitätsbewußtsein lebendig zu halten, trägt dazu entscheidend bei.
Wesentliches Ziel des Entwurfes ist es, die spannungsvolle Stadtlandschaft entlang der Leine als kontrastierendes Pendant zum merkantilen Zentrum zu begreifen, diesen Raum barrierefrei begeh- und benutzbar für alle zu gestalten und die einmalige, signifikante Lage Hannovers an der Leine in den Köpfen der Menschen einsichtig und emotional zu verankern.
Der Vertiefungsraum Hohes Ufer / Leibnizufer bildet somit die räumliche Synthese zwischen den städtischen Konturen der Altstadt mit dem Hohen Ufer und der Neustadt mit der Landschaftsachse entlang der Leine - vom Maschsee entlang der Promenade, im Zuge der Kulturmeile Culemannstraße über das Leibnizufer bis nach Herrenhausen. Dieser neu definierte Stadtraum gliedert sich in Sequenzen, die auf dem durchlaufend wahrnehmbaren Band der Leine und der begleitenden Uferräume durch bauliche Trittsteine gebildet werden, die Alt- und Neustadt verknüpfen und am Hohen Ufer, der Gründungsstätte der Stadt, einen zentralen, identitätsstiftenden Ort der Begegnung schaffen.
Die Wiedergewinnung der Leinefurt betont die historische Verbindung von Wasser und Stadtraum und bildet einen großartigen Übergang mit Anschluss des “Hauses des Wissens“ und des Uferraums. Der kulissenartig gestalteten, baulich-räumlich ausgesprochen spannenden Treppen- und Rampenanlage vor dem Historischen Museum ermangelt es genaugenommen nur einer Auffrischung und einer Fortsetzung des Weges am Ufer der Leine und konsequenterweise an dieser historisch eminent wichtigen Stelle der Leinefurt - hinüber in die Calenberger Neustadt.
Knapp über dem auf + 49.70 NN angehobenen Wasserspiegel wird die neue, steinerne Furt angelegt, die diesen historisch bedeutsamen Ort in das Gedächtnis der Menschen zurückbringt und ihn "begreifbar" macht, indem der direkte Kontakt mit dem Wasser ermöglicht wird.
Die durch Konzentration und Rückbau der Verkehrsanlagen am Leibnizufer gewonnenen Flächen werden den nun auch nutzbaren, da in das Wegenetz integrierten Grün- und Freiflächen zugeschlagen und entsprechend modelliert.
Dafür ist die Gestaltung des Reliefs die Basis.
Durch leichte Terrassierung in Form von Sitzmauern wird der Blick auf die Leine geöffnet. Eine Anhebung des Wasserspiegels auf 49,70 NN (um 80 cm) kommt dem entgegen. Die Interimslösung der Leinesuite wird baulich-räumlich durch hochwertige Geschäfte mit direktem Bezug zur Leine in 1A-Lage manifestiert und findet in einer breiten Freitreppe, die den nicht kommerzialisierten Aufenthalt an diesem Ort des Übergangs ermöglicht, eine adäquate Fortsetzung - als Auftakt in den neu formulierten Stadtraum am Marstall, mit Blick in die Tiefe des Raumes, hinüber zur Clemenskirche.
Die Leinepassage zwischen Goethebrücke und Leinefurt bildet den Kernraum am Hohen Ufer. Sie offeriert neu geschaffene Qualitäten des zwanglosen Aufenthaltes, des Sehens und Gesehenwerdens und verschneidet diese mit Tradiertem und Bewährtem, sowohl vorgefundenen baulich-räumlichen Qualitäten, wie der Rampenanlage vor dem Beginenturm, als auch Nutzungen, wie dem Flohmarkt.
Die standortprägenden Kunstwerke entlang der Skulpturenmeile werden in die neuen Raumsequenzen übertragen und erhalten so repräsentative, vom Verkehr unbelastete Standorte.
Die Wegeführung innerhalb des Uferraums ermöglicht die Fortsetzung des von Norden kommenden Uferweges über das Leineknie hinweg und – ausgehend von der Leinefurt – in beiden Richtungen die Unterquerung der Brücken und den niveaufreien Anschluss an die Bürgersteige/Radwege entlang der Verkehrsflächen. Stege und Treppen stellen die Verbindungen für Fußgänger und Radfahrer her.
Die Neubebauung entlang der Leine wird in Form von Sprungsteinen interpretiert, die städtisch markante Orte des Überganges in die Calenberger Neustadt in eine einheitliche, nachhaltig und hochwertig materialisierte Architektursprache übersetzen: das Haus des Jazz, das Haus des Wissens und das Bürgerforum als potentiellem, neu zu errichtendem Rat- und Bürgerhaus.
Sie gewähren zugleich den spannungsvollen Wechsel gewünschter, stadträumlich verdichteter Enge mit fokussierter Blickführung und stadtlandschaftlich geprägter Weite.
Den Ort, an dem die landschaftlich geprägte Leine in den urbanen Stadtraum eintritt, pointiert natürlich das Bürgerforum, das somit die Tradition des Neuen Rathauses aufnimmt und für diesen Ort neu interpretiert. Eine große Freitreppe vor dem Landtag inszeniert diesen einzigartigen Begegnungsraum und fokussiert den Blick zugleich auf das Leine-wehr, das den Wasserlauf akustisch in Szene setzt, und hinüber in den großzügigen "Vorgarten" des Leineschlosses.
Das Brückenbauwerk Culemannstraße /Friedrichswall wird mit linearen Einschnitten versehen, so dass die Nutzungsqualität des Uferweges durch gezielte Tageslichtführung und Baumassengliederung entscheidend gesteigert wird und der Flußlauf der Leine nachvollziehbar offen gestaltet werden kann.
Der Straßenraum des Leibnizufers wird auf je zwei Fahrspuren reduziert und mit einem Mittelstreifen (2 m) gegliedert, so dass drei Baumreihen den Boulevard-Charakter dieses innerstädtischen Straßenzuges unterstreichen. Als Baumart werden Linden (Tilia europaea pallida) vorgeschlagen, die die Charakteristik der Herrenhäuser Allee aufnehmen.
Eine doppelte Reihe mediterran anmutender Manna-Eschen (Fraxinus ornus) bildet auf dem Hohen Ufer einen sonnenlichtdurchfluteten Schirm. Der Baumbestand auf den Grünflächen wird weitestgehend erhalten und in die räumliche Gestaltung integriert.
Die neue Stadtmitte Hannovers Stadtzentrum definiert sich in allererster Linie über die innerhalb des Cityringes liegenden innerstädtischen Teilräume. Das Altstadtgefüge aus Altstadt und Neustadt, sowie die Anbindung der angrenzenden Stadtquartiere, die unabdingbar zu einer lebendigen, erinnerbaren Stadtmitte dazugehören, sowie die über die Stadtgrenzen hinausgehende öffentliche Wahrnehmung der bis an die City reichenden Leineaue mit Maschsee und Maschpark rund um das neue Rathaus, leiden unter seinen monofunktional angelegten Straßen. Im Zuge der Wiederaufbauplanung als zukunftsfähige und autogerechte Stadt angelegt, prägen sie entscheidend das Gesamtbild der Stadt.
Diesem für Jahrzehnte gültigen Ansatz, der Zergliederung des Stadtkörpers nach getrennten, funktionalen Flächen- und Nutzungszuweisungen, gilt es nun generell entgegenzuwirken und vor allem auch bei der verkehrlichen Planung zu berücksichtigen.
Der in der ersten Bearbeitungsstufe des Wettbewerbes vorgeschlagene Hannover Corso bleibt unverzichtbarer Bestandteil dieser Arbeit und bildet den stadträumlich notwendigen Überbau für die Zusammenführung der Altstadt mit der Calenberger Neustadt über die Straßenzüge Goethestraße, Georgsstraße, Georgswall, Willy-Brandt-Allee, Bella Vista, Schützenplatz, Gustav-Bratke-Allee und Humboldtstraße.
Dem Cityring Hannovers wird mit der Anlage des Stadtcorso eine noch vorhandene, jedoch nicht mehr wahrnehmbare Figur hinzugefügt, die sich aus der über Jahrhunderte geprägten Entwicklungsgeschichte der Stadt herleitet und an ihren Knickpunkten stadtstrategisch wichtige Orte der Anknüpfung besetzt: Goetheplatz - Brühlplatz - Steintorplatz - Bahnhofsplatz - Opernplatz - Georgsplatz - Aegidientorplatz - Planckplatz - Kurt-Schwitters-Platz - Schützenplatz - Waterlooplatz - Humboldtplatz, die das Entree in die sich anschließenden Stadtteile herstellen. Der Stadtcorso dient der besseren Orientierung rund um die Stadtmitte und "schafft Platz" für Fußgänger und Radfahrer durch das asymmetrisch angelegte Straßenraumprofil mit großzügigen Fußweg- und Radfahrerbereichen auf der Innenstadtseite.
Parallel dazu können an strategisch günstig gelegenen Standorten, wie am Steintor, dem Marstall oder dem Köbelinger Markt Fahrradstationen eingerichtet werden, die über ein Netz von Radfahrmagistralen mit den angrenzenden Stadtteilen verbunden werden.
Wünschenswert ist in diesem Zusammenhang die Förderung des ÖPNV mit einer stadtverträglichen und stadträumlich erlebbaren Niederflur-Straßenbahn, die das vorhandene, effiziente Stadtbahnnetz ergänzt und neben der optimierten, zielorientierten Beförderung von A nach B den Fokus legt auf ein in jeder Hinsicht schwellenfreies und zugleich kurzweiliges, da urbanes Wegeerlebnis auf Augenhöhe mit der Stadt.
Der Waterlooplatz erhält seine ursprüngliche Form zurück und schiebt sich als repräsentativer, multifunktionaler Veranstaltungsraum bis in die neu gewonnene Stadtmitte hinein. Die stadträumliche Arrondierung des innerstädtischen Hannovers mittels des Corso bindet das vor sich hinschlummernde Regierungsviertel in den Stadtkörper ein und bewirkt en passant eine attraktive Adressbildung desselben mitten in der Stadt - einer Landeshauptstadt angemessen.
Diesen Leitgedanken folgt der Vorschlag, die Culemannstraße im Sinne einer Kulturmeile für Fußgänger, Radfahrer und ÖPNV umzuwidmen und von ihrer autoverkehrlichen Funktion zu entbinden. Analog zum Hannover Corso, der dem Cityring hinzugefügt wird, vervollständigt die neue Kulturmeile vom Entree in die Innenstadt bis hin zum Sprengelmuseum die Skulpturenmeile entlang des Innenstadtringes.
Gleichwohl erfährt nunmehr auch die bedeutsame Karmarschstraße eine längst überfällige, sinnstiftende Ergänzung: ein einprägsames Alignement vom Kröpcke zum Sprengelmuseum swingend.